Ich gähnte betont ausgiebig, als Nick in den mittlerweile geräumten Gemeinschaftsraum kam, die Krawatte nicht fertig gebunden und schnaufend wie ein Norwegischer Stachelbuckel nach einem Schnellflugwettbewerb.
Na endlich! Wir haben nur mehr 5 Minuten Mann! McGonagall wird uns Punkte abziehen, warf ich Nicholas entgegen, kaum dass ich von meinem Platz aufgestanden war.
Ohne noch länger auf ihn zu warten schulterte ich meine Tasche, die heute wieder einmal unerträglich schwer war, und machte mich auf in den Korridor.

To: Klassenzimmer für Verwandlung

From: Klassenzimmer für Verwandlung

Ich hatte für den Weg in die Kerker ziemlich lange gebraucht. Vielleicht war es mir auch nur ziemlich lange vorgekommen. Im Gemeinschaftsraum erwartete mich wie ich gedacht hatte gähnende Leere. Wenn ich mich nicht täuschte, hatte die zweite Unterrichtsstunde schon angefangen. Zuerst steuerte ich wie automatisiert den Weg zu den Schlafsälen ein, doch meine Beine fühlten sich zu schwer an und mein Körper zu träge, als dass ich mich hätte dort hin schleppen können. Außerdem machte mich schon allein der Gedanke daran, ins Zimmer zu gehen und dort meine Sachen zu packen, krank.
So ließ ich mich in den erstbesten Ohrensessel fallen und starrte in die Glut der Feuerstelle. Ich wollte zur Ruhe kommen und die Nachricht endlich sacken lassen, doch meine Gedanken wirbelten durch meinen Kopf, dass mir ganz schwindlig wurde.

Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte und drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. Als ich Nick erkannte - im Zuge meiner Gedanken hatte ich die Stimme nicht sofort zuordnen können - versuchte ich zu lächeln, was jedoch vermutlich ziemlich erzwungen aussah und deutete auf den Sessel neben mich.
Ich ... ich hab keine gute Nachrichten erhalten..., murmelte ich leise, fast schon tonlos und musste prompt die erneut aufsteigenden Tränen unterdrücken.

Ich starrte weiterhin in das glimmende Feuer, dass man eigentlich nicht wirklich "Feuer" nennen konnte. Die Glut könnte wirklich einen Incendio gebrauchen... Ich traute mich nicht, zu Nick zu schauen, weil ich Angst hatte, er könnte die Tränen in meinen Augen schimmern sehen, aber eigentlich brauchte ich mich gar nicht zu bemühen. Nick war einer meiner besten Freunde. Und ein Sensibelchen - was nicht böse gemeint war. Er sah es mir immer sofort an, wenn etwas nicht stimmte, auch wenn ich dass ansonsten gut verbergen konnte. Aber es lag auch ein wesentlicher Unterschied dazwischen, ob es jetzt um eine schlechte Note oder einen Schulabbruch ging. Ich konnte es immer noch nicht realisieren. Morgen... dass war ... bald! Und dann musste ich weg von hier. Weg von Hogwarts. Weg von Nick. Weg von Teo. Vielleicht würde ich sie nie wieder sehen...
Noch während ich darüber nachdachte, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, die sich langsam aber sicher einen Weg über meine Wangen bahnten.
Ich muss morgen Hogwarts verlassen, kratzte es mir rau aus der Kehle und konnte immer noch nicht aufsehen. Das orangene Flimmern verschwamm vor meinen Augen.

Ich merkte anhand von Nicks Stimme, dass ihm das Sprechen plötzlich mindestens genauso schwer fiel wie mir und dass er es ebenso wenig glauben konnte. Und so sehr ich mir auch wünschte, mich zu ihm umzudrehen, ihn in die Schulter zu boxen und ihn auszulachen, weil er mir diese Story geglaubt hatte, umso mehr schmerzte die Wirklichkeit, weil es kein Scherz war. Ausnahmsweise nicht.
Ich wollte ihm schon in die Augen sehen und antworten, als er mir zuvor kam und mich unerwartet in seine Arme zog. Haltsuchend krallten sich meine dünnen Finger in seinen Schulumhang und entgegen meines normalen Verhaltens vergrub ich mein Gesicht an seiner Schulter.
Meine Mutter...,schluchzte ich gegen den Stoff seiner Kleidung.
Sie ist krank. Ich ... Nick ... Widerwillig musste ich ihn loslassen, da ich ihm nicht länger ausweichen konnte. Ich musste ihm in die Augen sehen, wenn ich das sagte.
Ich verlasse nicht nur Hogwarts ... wir ... wir gehen nach Norwegen zurück, brachte ich mit brennender Kehle und stechenden Augen hervor. Es tat weh, diesen Blickkontakt aufrecht zu erhalten und sofort schossen mir erneut die Tränen in die Augen. Scheiß auf das Klischee, dass Jungs niemals heulten! Scheiß auf dass, was Nick jetzt von mir denken mochte. Scheiß auf alles! Es hatte nun sowieso keinen Sinn mehr...

Ich konnte es nicht mitansehen, meinen Freund weinen zu sehen. In dem Moment hätte ich gerne etwas gesagt, dass ihn aufmuntern würde - dass mich aufmuntern würde. Doch was konnte ich schon sagen? Noch nie zuvor habe ich mir so sehr gewünscht, dass all dies nur ein doofer Scherz wäre. Oder ein Albtraum. Oder einfach beides.
In meinem Hals saß ein fetter Kloß, weshalb ich es nur zusammenbrachte zu nicken.
Du... du kommst mich doch mal besuchen, oder? Versprich mir, dass du mich mal besuchen kommst..., flüsterte ich, meine Stimme heiser und tränenerstickt. Was machte ich mir hier eigentlich vor? Seine Familie würde niemals nach Norwegen kommen! Und alleine hatte er keine Möglichkeiten. ich würde ihn vermutlich nie wieder sehen...

Ich konnte bloß nicken, für mehr war ich gerade nicht imstande. Der Kloß saß immer noch fest, meine Augen waren feucht und leicht gerötet und ich war froh, dass zurzeit niemand anderer im Gemeinschaftsraum war. Krampfhaft suchte ich nach den passenden Worten, um Nick zu sagen, dass ich ihm dankbar war und mir wünschte, weiterhin nach Hogwarts gehen zu können, doch irgendwie blieb alles, zu dem ich ansetzte, im Hals stecken, sodass ich es aufgab.
Noch einmal zog ich Nick in eine Umarmung, was schon ein Wunder war, wenn man bedachte, dass ich mich sonst nicht so kuschelbedürftig benahm. Plötzlich eine Stimme hinter uns ertönte, zuckte ich erschrocken zusammen, ließ Nick ruckartig - fast schon schubsend - los und fuhr herum.
Als ich Teo erkannte, wischte ich mir schnell und irgendwie auch ertappt die Tränen aus dem Gesicht und sah ihn nervös abwartend an. Ich hasste mich gerade dafür, dass ich mich nicht unter Kontrolle hatte.
Wir ... also ich ... es ist nichts Schlimmes..., log ich kurzerhand und vergaß für einen Moment, dass Teo einer meiner besten Freunde war und ich ihm sowieso die Wahrheit sagen musste. Doch ich wollte nicht erneut anfangen zum Heulen wie das größte Weichei auf Erden.