Ich ließ mir keine Verlegenheit anmerken, denn ich verspürte keine, der Tango war ein wunderschöner Tanz, einer der feurigsten unter den Standarttänzen. In Ordnung, stell dich bitte neben mich. Der Grundschritt des Tangos ist sehr einfach zu merken. Zuerst machst du zwei Schritte nach vorne. Ich führte das gesagte gleich aus und blieb dann in der leichten Grätsche stehen. Dann folgt ein so genannter Wiegeschritt. Ich belastete einmal meinen vorderen Fuß, dann den hinteren und schließlich noch einmal den vorderen, nur um wieder zurück am hinteren zu landen. Dann machst du einen Schritt zurück, einen zur Seite und schließt die Beine. gesagt, getan, ich machte es vor und stand schließlich wieder mit geschlossenen Beinen da.

Ich beobachtete genau wie Finn sich hielt und seine Beine bewegte und war recht zufrieden damit. Gut so, versuch es etwas schneller, die Übung macht es leichter. Mit ihm zusammen führte ich die vertrauten Schritte aus, um ihm eine kleine Hilfestellung zu geben, da er sich so an mir orientiereb konnte.

Sehr gut, ich denke du hast dir die Schritte jetzt halbwegs gemerkt. Kommen wir zur Tanzhaltung. Sie ist beim Tango etwas anders als bei den anderen Standarttänzen. Die Dame legt ihre Hand nicht flach auf deinen Rücken, sondern stellt die Hand auf, aber das musst du dir nicht merken, für dich ist wichtig, dass deine rechte Hand ist das was sich für dich verändert, du legst sie bis zur Wirbelsäule deines Partners. Mir war klar, dass Finn höchst vermutlich vorerst nur vorhatte mit Teo zu tanzen, doch die Bezeichnungen "Dame" und "Herr" waren im Tanzjargon so verbreitet, dass es einfacher war es so zu sagen. Vor allem war es leichter so zu erklären als mit "der Herr" und "der andere Herr". Ich begab mich in Haltung für die Dame und sah Finn auffordernd an. Wir waren etwa gleich groß, ich ein paar Zentimeter größer, es würde gut passen.

Hättest du etwas mehr Manieren wärst du auch ein ganz akzeptabler Herr. Ich schüttelte den Kopf und legte meine Hand in der richtigen Haltung an Finns Rücken, die andere lag nun in seiner. Wie du bemerkt haben dürftest ist der Tango ein Tanz bei dem man sich sehr nahe kommt, sorge also dafür, dass dein partner nicht zu weit weg von dir kommt. Schließlich gehst du noch leicht in dei Knie, dann können wir bereits mit dem Grundschritt beginnen. Da du als Herr führst musst du mir ein Signal geben, dass es los geht, im Tanz hörst du auf den Takt und bestimmst wann du einsetzen willst, das erreichst du mit Körpersprache und eventuell einem leichten Druck deiner Hand gegen meine.

Der Veela-Magie – auch als Veela-Anziehungskraft bekannt – war eine besondere Fähigkeit. Es war eine natürliche Magie die kaum zu kontrollieren war. Die Anziehungskraft war – vor allem bei vollblütigeren Veelas – eigentlich immer bis zu einem gewissen Grad vorhanden. Auch wenn es lange nicht eine Ausrede dafür war sich deswegen wie ein Idiot zu benehmen. Eine vollkommene Resistenz konnte man jedoch nicht dagegen entwickeln. Dennoch hatte sich meine natürliche Anziehungskraft verändert. Meine Mamãe hatte die Vermutung das es stark mit Anne im Zusammenhang stand. Denn die natürliche Anziehungskraft der Veela ließ nach – wenn sie sich verliebte – und die Veela-Magie reagierte dann nur noch stark auf den Partner. Sie würde auch auf Ewigkeit so bleiben wenn man mit dem Partner – in den man sich verliebt hatte – zusammen blieb. Ich hoffte wirklich sehr das sie Recht hatte. Denn ich hatte meine natürliche Veela-Magie eigentlich immer eher als Hindernis betrachtet. Wahrscheinlich weil sie doch am meisten auf Männer ihre Auswirkung zeigte – an denen ich wirklich keinerlei Interesse hätte – aber die Idee das sie auf Anne reagierte und auch nur auf sie – damit konnte ich sehr gut leben. Besser als sehr gut eigentlich. Denn sie war die Einzige mit der ich diese Seite von mir teilen wollte. Alleine sie zu küssen war buchstäblich ein magisches Gefühl. Momentan legte sich meine Magie wie eine angenehm warme Decke an einem kalten Wintertag oder – passender – eine kühle Brise an einem sonst zu heißen Sommertag um uns herum. Anne schlang ihre Arme fest um mich und eine Hand spielte mit meinen Haaren – während ich eine Hand an ihrer ach so schmalen Taille ablegte – und die andere zwischen ihre Schulterblätter um sie noch näher an mich heran zu ziehen.
Es fiel mir schwer mich überhaupt noch von ihr zu trennen. Das Gefühl von ihren weichen, wundervollen Lippen auf meinen eigenen. Diese Nähe von der ich mir nicht mehr erträumen hätte können. Die Zeit allein mit ihr. Als ich mich wieder von ihr löste hatte ich das Gefühl aus einem tiefen Wasser aufzutauchen. Ein leises Keuchen kam über meine Lippen. Ich hatte beinahe vergessen das ich auch noch atmen musste. Aber ich öffnete meine Augen – welche mir wie von selbst zugeglitten waren – und erfasste Anne in meinem Blick. "Ich möchte dir noch etwas sagen. Etwas das ich schon sehr lange gefühlt habe. Aber ich denke jetzt ist der richtige Zeitpunkt." Wir hatten nicht lange Zeit auseinander gebracht. Aber ich wusste das es auch nicht das letzte Mal sein würde. Ich war froh über diesen Sommer und die Zeit die ich mit ihr verbringen durfte. Aber ich musste ihr die wichtigsten drei Worte in meinem Leben sagen. Einfach nur weil sie der Wahrheit entsprachen. Nicht mehr und nicht weniger. Jetzt oder nie. "Eu te amo Querida." Es kam mir einfacher über meine Lippen als gedacht. Denn ich mochte nervös sein – aber ich sprach noch immer mit Anne – und wenn ich sie ansah dann waren diese Worte ganz leicht. Das zweite Mal deklarierte ich meine Liebe nicht auf Portugiesisch – auch wenn es mir von Herzen am meisten kam – sondern auf Deutsch – wo es Anne von Herzen kam. "Ich liebe dich so sehr und nichts kann daran etwas ändern. Und ich tue das nicht nur für das – was du bist – sondern auch für das – was ich bin – wenn ich bei dir bin. Nicht nur dafür – was du aus dir gemacht hast – sondern auch für das was du aus mir machst. Ich bin so dankbar das ich dich lieben darf."

Ich hätte Emma bereitwillig weitergeküsst, bis mir die Luft ausgegangen wäre, denn egal auf welche Weise ich Emma nahe war, ich wollte nie, dass es endete. Ich mochte mir gar nicht vorstellen nach diesem Sommer so lange von ihr getrennt zu sein, doch daran wollte ich jetzt nicht denken, wir hatten einige Wochen gemeinsam vor uns, nur darauf wollte ich mich konzentrieren. Emma war allerdings vernünftig und so löste sich der Kuss schließlich wieder und ich schnappte dezent nach Luft. Immernoch standen wir uns sehr nahe, ich hatte meine Arme nicht von ihr gelöst und hielt sie weiterhin dicht bei mir. Emma hatte eine Anziehung auf mich, die sich kaum erklären ließ, es war als würde ich immer wieder wie von einem Magneten zu ihr hingezogen werden, wie ich fünd Jahre ohne diese nähe hatte Leben können war mir persönlich ja ein ziemliches Rätsel. Emma setzte an zu sprechen und natürlich hatte sie sofort meine Aufmerksamkeit. Ich konnte kaum verhindern, dass meine Augen sich etwas weiteten, als ich hörte was sie mir da sagte. Ich hatte mittlerweile etwas Portugiesisch gelernt, ich war recht gut in Sprachen und diese war denen die ich bereits konnte doch hier und da recht ähnlich, ich verstand also durchaus was sie mir da sagte, doch sie wiederholte es schließlich auch auf Deutsch, meiner Muttersprache. Wir hatten diesen Schritt bisher noch nicht gemacht, unsere Beziehung war noch nicht soweit gewesen, doch ich war mir von herzen sicher, dass ich Emmas Gefühle erwiderte. Ja, ich liebte die jüngere Hexe, die mir in den paar kurzen Monaten so viele wundervolle neue Erinnerungen geschenkt hatte, neue Erfahrungen, neue Gefühle. Ich spürte wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht einnistete und es in meinem Körper auf eine schauerlich angenehme Weise kribbelt. Emma liebte mich. Sie liebte mich wirklich. Liebe war für mich immer ein etwas schwieriges Konzept gewesen, ich liebte meinen Zwillingsbruder mehr als mich selbst, doch lange Zeit war er der einzige gewesen von dem ich dieses Gefühl auch zurück bekommen hatte. Über die Jahre in Hogwarts waren mehr Leute dazu gekommen, andere Varianten des doch gleichen gefühls, freundschaftliche Liebe kam zur geschwisterlichen Liebe dazu, doch meine Liebe zu Emma war wieder etwas ganz anderes, sie loderte heller, sie brannte heißer und ich wollte sie nie wieder missen. Ich liebe dich auch. Deutsch war meinem Herzen am nächsten, da wo sich Emma eingenistet hatte. Ich liebe dich mit allem was ich habe und was ich bin. Ich kann noch nicht in Worte fassen weshalb und auch nicht wie stark diese Gefühle sind, doch wenn du mir deine Zeit schenken willst, möchte ich es dir zeigen, solange du mich haben willst.

Querida. Mein liebster Kosename für Anne. Man konnte ihn auf mehrere Weisen interpretieren. Doch vorrangig verwendete man ihn vor allem für Frauen welche man liebte oder lieben wollte. Und seit dem ersten Mal – bei dem er mir mehr unterbewusst heraus gerutscht war – verband ich ihn vollkommen mit Anne. Sie war die Frau gewesen die ich lieben wollte. Und war nun auch zur Frau gewesen die ich tatsächlich liebte. Liebe war selbstverständlich etwas das wachsen und gedeihen musste. Es war jetzt nicht ein fertiges Produkt und durch ein 'Ich liebe dich' dort für immer fest genagelt. Aber ich glaubte sehr an all die Chancen die Anne und ich noch hatten. An die Bedeutung die wir unserer Liebe noch geben konnten. Ich lachte erleichtert. Ein Gefühl der Erleichterung und dann ein Gefühl der wahnsinnigen Euphorie brauste in mir auf. Ich war so überglücklich das aus ihrem Mund gehört zu haben. Ich würde sie nie wieder her geben. Zumindest nicht freiwillig oder ohne einen Kampf. "Ich möchte dich haben so lange ich kann." Mein Blick wurde weich aber ein Funken der temperamentvollen Leidenschaft spiegelte sich ebenfalls darin wieder. Er war oft zu sehen wenn ich über Quidditch sprach. Doch gerade brauchte ich nur Anne um absolut Feuer und Flamme zu sein. "Manchmal schaue ich dich einfach an und frage mich wie ich so viel Glück gehabt habe. Das ich dich kennenlernen durfte. Das ich dir nahe sein durfte. Das ich dich lieben darf." Ich hielt meinen Blickkontakt mit Anne. "Ich bin eifersüchtig auf jede Person die dich jeden Tag sehen darf. Der einzige Trost ist es das ich es hoffentlich auch irgendwann sein würde. Das ich dich auch in der Zukunft jeden Tag sehen darf. Neben dir im Bett aufwachen darf. Dich beobachten darf während zu einen Brief schreibst. Wie du Klavier spielst."
Jedes noch so kleine Detail in dem Gesicht der wunderschönen jungen Frau konnte mir gar nicht entgehen. Die wunderschönen rötlich braunen Haare die ihr Gesicht einrahmten. Die ausdrucksstraken Augen. In einem wunderschönen violett – eingerahmt von dunklen Wimpern – passend zu dem hübschen Gesicht. Ich entdeckte immer erneut etwas das mir besonders gut gefiel. Ich konnte mir gar nicht vorstellen das es irgendwann anders sein würde. Denn es würde nie anders sein. Das konnte ich beinahe garantieren. "Ich kann es kaum erwarten zu sehen was noch aus uns werden wird." Ich hielt noch ein Mal den Atem an. Es war unglaublich aufregend gewesen diese Worte zum ersten Mal wirklich aus zu sprechen. Zuerst auf meiner Muttersprache – dann auf Deutsch – und dann auf meiner anderen Muttersprache. Aber in allen drei Sprachen hatte es für mich dieselbe wichtige Bedeutung gehabt. Ich liebte Anne über alles. Und Anne liebte mich. Ich bin so glücklich. Ich bin ja so glücklich! Wäre ich emotionaler gewesen wären mir sicherlich die Tränen in die Augen gestiegen. Aber stattdessen begnügte ich mich damit breiter und breiter zu lächeln. Die Aura schien regelrecht um uns herum zu pulsieren. Ich konnte nicht anders als die Worte noch ein Mal über meine Lippen kommen zu lassen. "Ich liebe dich." Sanft erfasste ich das Gesicht von Anne mit einer Hand. Ich strich ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr. Ließ meine Finger kurz ihre Wange liebkosen. Und blieb dann mit der Hand unter ihrem Kinn liegen. Sanft lehnte ich mich ihr entgegen. Meine Augen fielen zu. Während ich unsere Lippen zu einem liebevollen Kuss vereinte. Er war nicht so stürmisch wie der zuvor. Aber er war bedeutsam. Der erste Kuss wenn Anne dich liebt. Und du sie. Mamãe hatte Recht... Sie hat es dir immer gesagt. O amor é como o vento, você pode não vê-lo, mas você pode senti-lo.

Sanft lehnte ich meine Stirn einen Moment an Emmas, in einer sehr zarten, intimen geste, es war als gäbe es in diesem Moment nur uns beide, niemanden sonst, nicht meine Familie, nicht dieses Anwesen und die Angestellten, nicht einmal das Land das draußen lag mit seinen unzähligen Bewohnern. Es gab nur Emma und mich, in unser eigenen kleinen Welt, in der nur die Liebe regierte. Wir waren nicht perfekt, egal wie sehr wir darauf hinarbeiteten, es würde immer Probleme geben, sogar in den nächsten tagen die wir hier kamen konnten unzälige dergleichen auf uns zukommen, aber in diesem Moment schien alles einfach ideal, Emma in meinen Armen, ihre weiche Stimme in meinem Ohr, die mir all diese süßen Sachen erzählte, auf die ich mittlerweile zu Hoffen wagte. Eine gemeinsame Zukunft, ein Leben, welches wir zusammen selbst bestimmen konnten. Und wir haben Zeit. Wenn all das hier vorbei ist haben wir alle Zeit der Welt. Dann wollte ich all das was Emma mir da erzählte, all diese Dinge die für andere Paare völlig alltäglich und normal waren, ich wollte meine Tage mit Emma verbringen, ich wollte mit ihr Essen gehen, ich wollte mit ihr in einem gemeinsamen Zuhause sitzen und Tee trinken, ich wollte mit ihr in einem Bett schlafen, sie am Morgen sehen, sie küssen wann immer wir Lust darauf hatten. Ich wollte so viele Dinge und nun lagen nur noch zwei jahre und unglaublich viel Glück zwischen uns und dieser Zukunft. Ich liebe dich auch. Ich lächelte Emma glücklich an, ich hatte das Gefühl gleich platzen zu müssen, so viel Freude hatte ich selten in meinem Leben verspürt. indliche, reine Freude, darüber, dass Emma hier vor mir stand, dass sie meine Gefühle erwiderte, dass sie mich liebte. Meine Augen glitten wie von selbst zu, als sich unsere Lippen zu einem weiteren, sanften Kuss fanden, einer, der es mir erlaubte all meine Liebe in nur einer Berührung zu zeigen, Liebe, die ich gedachte Emma noch für den Rest unseres Lebens zu zeigen, sofern das Schicksal und sie es mir erlauben würden.

London – 1. September 1990. 15 Jahre später…

Für einen September war es an diesen Tagen noch recht warm in England. Man mochte sich wundern woran dies nur liegen konnte. Aber das war auch nicht unbedingt so wichtig. Wichtig war doch eigentlich, dass die Welt wieder ruhig war. Nur unsere Tochter – die sich an meinen Arm klammerte – machte heute den ganzen Morgen schon keinen besonders glücklichen Eindruck.

»Camila… Warum denn dieses traurige Gesicht?«

Camila von Edelstein war ein süßes kleines Mädchen. Sie hatte große hellbraune Augen und schwarze volle Haare mit goldenen Schleifen zu zwei frechen Pigtails zusammengebunden. Sie trug ein schönes lila und rosarotes Kleid und trug ihre selbstgebastelte Puppe auf ihrem Rücken herum. An meiner Hand konnte man sie kaum nicht für meine Tochter halten. Meine Gene hatten sich eindeutig durchgesetzt. Sie hatte ebenfalls einen deutlich dunkleren Teint und war gerade 8 Jahre alt geworden. Für ein Kind hatte sie extrem mächtige natürliche Magie – die sie nicht immer unter Kontrolle hatte – wie auch jetzt als sich ihre Haare nahezu aufplusterten während sie mich mit einem Schmollmund ansah.

»Ich will nicht das Kugel weg geht!«

Mozart "Kugel" von Edelstein. Er war inzwischen zu einem jungen Mann heran gewachsen. Mit 11 Jahren konnte ich dennoch nicht anders als ihn immer noch als ein kleines Kind zu sehen. Er hatte lila Augen – ganz wie seine Mutter – und weißes Haar, das er in zwei langen Zöpfen trug. Er hatte ein androgynes und kindliches Gesicht – aber war körperlich doch ganz schön in die Höhe gewachsen. Er hatte ebenfalls einen Schönheitsfleck unter seinem linken Auge. Gerade trug er eine rote Baskenmütze und eine weiße Weste mit einem Hemd mit blauen Streifen. Dazu trug er auch eine kleine Schleife, lila Shorts, hellbraune Leggings und Stiefel. Später im Zug würde er seine etwas extravagante Kleidung wohl noch gegen die Schuluniform tauschen müssen. Neben Anne an der Hand konnte man auch kaum abstreiten das sie seine Mutter war. Meine wunderschöne Ehefrau.

»Aber Mimi! Die Zeit geht doch schnell vorbei! Außerdem hast du doch Eric.« Kugel sah sofort besorgt zu seiner kleinen Schwester.

»Drei Jahre. Von wegen.« Camila beschwerte sich dennoch. Wenn auch nicht mehr so sehr als sie seinen besorgten Blick sah. Was sollte man dagegen bloß tun? Natürlich würde sie ihren Bruder vermissen. Ihren Bruder der nun sein erstes Jahr in Hogwarts antreten würde.

Wir betraten den Bahnhof Kings Cross. Die Menge war wie immer in Eile und Hektik. Wir hatten allerdings noch eine gute halbe Stunde und gingen so entspannt durch den Bahnhof.

»Denkst du Teo und Finn sind schon da?«

»Ich bezweifle es.« Wir sahen uns an und lachten. Selbst nach all diesen Jahren waren die beiden noch immer etwas chaotisch. Allerdings bei vier Kindern war ihnen das nun auch nicht mehr verübelt. Besonders die kleinen Zwillinge waren große Unruhestifter. Sie kamen allerdings sehr gut mit absolut allem zurecht. Die beiden waren großartige, ausdauernde und vor allem liebevolle Eltern. Wenn auch vielleicht etwas anarchistisch.

Die Eule in dem Käfig auf dem Gepäckwagen von unserem Kugel kreischte und die Muggel warfen uns verwunderte Blicke zu. Wir traten immer näher zu der Mauer – wo die Nummern der Gleise 9 und 10 angebracht waren – und blieben dort schließlich stehen.

»Ihr zuerst.«

Ich lächelte meiner Ehefrau zu und sie nahm unseren Kugel bei der Hand und schritt mit ihm in einem eleganten Tempo auf die Mauer zu. Dann zählte ich noch bis »…drei!« und lief mit Camila direkt hinterher. Wir hatten sie nach meiner Mamãe benannt. Ein Name einer starken und unglaublichen Frau für ein starkes und unglaubliches Mädchen. Sie war die stolzeste Großmutter auf der gesamten Welt. Ich wusste das sie sich ebenfalls die Zeit nehmen würde uns am Gleis zu treffen. Roderich würde mit uns ebenfalls gemeinsam verabschieden. Nur Vash hatte leider keine Zeit da er arbeiten musste. Die beiden würden sicherlich auch irgendwann ihre eigenen Kinder hier vom Gleis verabschieden müssen. Ich konnte es kaum erwarten dabei zu sein. Immerhin waren die beiden genauso meine Familie. Aber noch war die Zeit für die beiden nicht gekommen.

Wir kamen nun wieder am Bahnsteig hinaus. Dort stand bereits die scharlachrote Lock. Gleis 9 ¾. Hogwarts-Express. Hier hatte sich wirklich gar nichts verändert. Überall waren Eltern die sich von ihren Kindern verabschiedeten. Ich entdeckte einige bekannte Gesichter von früher wieder. Sie waren alle hier um ihre eigenen Kinder zu verabschieden. Es war Wahnsinn wie schnell die Zeit denn schon bereits vergangen war. Sogar manche ehemalige Mitschüler – welche früher jünger als ich gewesen waren – hatten bereits Kinder. Meine Mamãe stand bereits neben Roderich und unterhielt sich freundlich mit ihm. Ich schaffte es gerade noch so meiner Mamãe liebevolle einen Kuss rechts und links auf die Wange zu geben. Da machten sich schon die Kinder von unseren Händen los und umarmten ihre Großmutter etwas ungestüm. Diese lachte fröhlich und ließ es guter Dinge über sich ergehen. Es war schön zu sehen wie unsere beiden Kinder sie direkt in Beschlag nahmen – um ihr von ihren neuesten Abenteuern zu erzählen – während wir beide genügend Zeit hatten um Roderich zu umarmen und ordentlich zu begrüßen. Gerade wollte ich mich Anne zuwenden – um sie zu fragen ob sie Kugel auch die Galleonen für den Zug gegeben hatte – als plötzlich ein lautes Krachen hinter uns ertönte.

Durch eine kleine Staubwolke hindurch stolperte nun auch die Familie Drake-Fletcher an das Gleis. Die Zwillinge – Shio und Mizu Drake-Fletcher – direkt voran. Die beiden Unruhestifter waren kaum zu unterscheiden mit ihren weißblonden Haaren. Nur das Shio blaue und Mizu grüne Augen hatte rettete mich immer wieder davor auf ihre Spielchen herein zu fallen. Die beiden mochten noch nicht einmal 5 Jahre alt sein – und die süßen kleinen Nesthäkchen – aber ihre Streiche und ihr Chaos waren uns allen inzwischen mehr als nur gut bekannt.

Direkt hinterher folgte mit selbstbewussten Schritten ein wahrlich wunderschönes junges Mädchen. Nicola Elizabeth Drake-Fletcher – besser bekannt unter ihrem kurzen Spitznamen "Nici". Sie hatte lange braune Haare, einen gebräunten Teint und goldbrauen Augen. Eine Schnee-Eule war das Haustier ihrer Wahl – die sich gerade neugierig aus ihrem Käfig heraus umsah – während sie selbstständig ihren Gepäckwagen schob. Sie war ebenfalls 11 Jahre alt und würde gemeinsam mit Kugel nun in Hogwarts ihr erstes Jahr beginnen. Neben ihr her ging ebenfalls Mundungus Fletcher – der sich offenbar für seine Lieblingsnichte ebenfalls Zeit genommen hatte – er wirkte jedenfalls sehr stolz. Kugel und sie waren nach ihrer Adoption sehr schnell beste Freunde geworden. Eigentlich hatten Teo und Finn drei Kinder adoptieren gewollt. Aber bei diesen süßen Gesichtern der Zwillinge dann doch nicht widerstehen gekonnt.

Wie Kugel war auch sie sehr modebewusst gekleidet. Ein süßer roter Rock und dazu eine passende weiße Bluse. Dazu trug sie weiße Kniestrümpfe und hübsche schwarz-rote Halbschuhe. Kaum sah sie ihren besten Freund begann sie auch schon zu strahlen – überließ ihren Gepäckwagen prompt ihrem Vater Finn – und stürmte auf ihn zu. Sie umarmten sich fröhlich und lachten. Aber noch in der Umarmung ließ sie geschickt seine rote Baskenmütze mitgehen und setzte sie sich selbst auf. Der kleine Langfinger.

»Das steht mir auch gut. Findest du nicht?« Sie kicherte frech und streckte Kugel die Zunge heraus. Man konnte deutlich die Ähnlichkeit zu Finn und ihrem großen Vorbild und Onkel Mundungus sehen. Er hatte in den letzten Jahre zugenommen und war immer etwas schäbig gekleidet. Aber er hatte sein Herz am richtigen Fleck und viel im Krieg für die gesamte Zaubererwelt geleistet. Genauso wie Finn und viele Andere – die sich auch wortwörtlich geopfert hatten – möge es ihnen nie vergessen werden.

»Natürlich steht es dir! Glaubst du wirklich wir kommen beide nach Ravenclaw?«

»Na wenn dann zusammen!«

Eric Drake-Fletcher folgte als Letzter hinterher an der Hand ihres anderen Vaters Teo. In der anderen Hand trug dieser wieder den Koffer – den er beinahe niemals Zuhause ließ – welcher voller magischer Tierwesen gefüllt war und auch jetzt leicht ruckelte. Eric war sehr begeistert von allen Tieren. Selbst gerade trug er sein beiges Kaninchen auf dem Arm. Er war momentan 8 Jahre alt und damit eigentlich das mittlere Kind. Allerdings war er doch deutlich ruhiger als seine Geschwister. Er hatte schwarze Haare und dunkelgrüne Augen – dazu ein sanftes Gesicht – Camila mochte ihn sehr gerne. Was ein großes Glück war denn die beiden würden gemeinsam nach Hogwarts kommen. Zwar würde sie auch ihren großen Bruder dort haben – aber Freunde waren unerlässlich – vor allem Freunde im selben Alter oder – wie ich stark hoffte für die beiden – auch im selben Haus. Nur meine beste Freundin hatte es geschafft mich doch noch glücklich durch die Jahre ohne Anne an der Schule zu bringen. Das sie es heute nicht hierher geschafft hatte war verständlich.

»Ich habe gehört der legendäre Harry Potter soll nächstes Jahr nach Hogwarts kommen!«

Shio und Mizu rannten Hand in Hand um Camila herum. Diese machte sofort ein erschrockenes Gesicht und wandte sich dann an uns. Der arme Junge – er war jetzt schon eine Sensation – dabei war noch kaum etwas über ihn bekannt. Aber für die Kinder war er natürlich in gewissem Sinne eine Legende. Nicht nur für die Kinder. Auch wenn es die meisten Erwachsenen eigentlich besser wissen mussten. Das arme Kind.

»Mama, Mamãe! Kann ich nicht doch schon früher?«

»Meu amor. Já conversamos sobre isso antes.«

Ich ermahnte sie sehr liebevoll. Wir hatten bereits darüber gesprochen. Kurz zog sie erneut einen Schmollmund und rannte dann auf Teo und Eric zu. Sie umarmte Eric fröhlich und begann dann direkt mit Teo zu quatschen. Teo und Finn waren für unsere Kinder – wie Roderich und Vash es wirklich waren – wie Onkel. Es war schön das Tummeln zu beobachten. Auch Anne schien so zu denken. Denn ich spürte plötzlich einen Arm um meine Taille herum und einen Kopf auf meiner Schulter. Ich lächelte glücklich und sah zu Finn. Er kam mit dem Gepäckwagen von Nicola – zuvor noch in ein Gespräch mit seinem Halbbruder verwickelt – auf uns zu.

»Kommt ihr später noch alle zu uns? Roddy meinte Vash kommt auch nach der Arbeit und Dung wird auch kurz dabei sein. Du hast heute doch frei oder?«

»Ja. Ich habe dem Team Bescheid gegeben das ich mir nun jeden ersten September für die Kinder freinehme.«

»Wirklich sehr gerne.« Anne stimmte der Einladung zu. Dann wandte sie sich an die Kinder – welche die Zeit vollkommen vergessen zu schienen haben – Kugel hatte offenbar seine Baskenmütze noch immer nicht zurück bekommen. »Es ist bereits 10:50. Ihr solltet wirklich langsam einsteigen.«

Der Lockführer pfiff in seine Pfeife und das war das Zeichen für die Kinder in den Zug zu steigen. Alle Familien umarmten noch ein letztes Mal ihre Kinder und sie gingen in den Zug. Ich drückte Kugel noch ein Mal ganz fest und küsste ihn auf die Stirn.

»Mach mir ja keinen Unfug und lass von dir hören. Mama und ich werden dir mindestens drei Mal in der Woche schreiben. Du musst mir dann unbedingt erzählen wie deine ersten richtigen Flugstunden waren!«

Wir hatten in den letzten Wochen viel über Hogwarts geredet.

»Macht euch nur keine Sorgen und ich habe ja Nici! Ich hab euch lieb.«

Anne umarmte ihn ebenfalls noch ein Mal.

»Wir dich auch.«

»Hey und was ist mit mir?«

Camila drängte sich zwischen uns und Kugel nahm sie sofort in den Arm. Ich wusste – dass sie ihn wirklich sehr vermissen und traurige sein würde – er flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie kicherte daraufhin und meinte »Blödmann.«

Es war selbstverständlich nicht ernst gemeint. Die beiden verstanden sich – bis auf hier und da Kleinigkeiten – so gut wie ich es bei Geschwistern noch nie gesehen hatte. Nachdem sich Kugel endlich von Camila löste und wieder zu Nicola aufschloss stiegen die beiden zusammen in den Hogwarts-Express ein. Alle anderen Kinder waren noch viel zu jung für Hogwarts und würden erst später hingehen. Wir konnten unsere beiden Ältesten noch durchs Fenster des Abteils sehen und lächelten ihnen zu. Dann setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Wir hoben jeder eine Hand und winkten den Kindern zu. Was sie uns gleich taten. Der Zug wurde dann immer schneller und schneller und verschwand schließlich um die Ecke. Ich ließ meine Hand wieder sinken und sah aber noch weiterhin in die Richtung – in die der Zug verschwunden war – genauso wie Anne.

»Es wird den beiden gelingen Hogwarts zu meistern.« Teo wirkte sehr überzeugt.

»Das wird es.« Finn hielt nun je einen der Zwillinge an einer Hand. »Und hoffentlich wird ihre Schulzeit genauso verrückt und spannend wie unsere eigene! Nur ohne die ganzen politischen Unsicherheiten.«

Keiner der Kinder – die heute nach Hogwarts gingen – hatten es verdient eine so gefährliche Schulzeit zu haben wie wir damals. Aber der Krieg war vorbei und hoffentlich würde es auch genauso bleiben. Ich starrte dem Zug hinterher. Die Verhältnisse waren deutlich besser geworden. Unsere Kinder mochten nicht besonders gefährdet sein – Camila war zum Glück auch nur eine Achtel-Veela – aber dennoch wünschte ich mir eine bessere Zukunft für sie. Eine in der Hexen und Zauberer von jedem Blutstatus akzeptiert und zelebriert wurden.

»Hoffentlich gehen diese blöden drei Jahre schnell vorbei. Oder Eric?« Camila sah zu dem größeren Jungen mit hoffnungsvollen Augen hinauf – während sie sein Kaninchen streichelte – der dann ruhig und besonnen nickte.

Ich legte meine Arme um Anne und hielt sie einfach liebevoll in meinen Armen. Die Zeit war so schnell vergangen und das Leben konnte für mich nicht besser laufen. Ich hatte ein wunderschönes Leben. Ich hatte die wundervollste und zärtlichste Ehefrau. Ich hatte die zwei wunderbarsten und bezauberndsten Kinder der Welt – die ich über alles liebte – und den Rest unserer großen zusammengewürfelten Familie noch dazu. Eine Position als Treiberin in der Englischen Quidditch-Nationalmannschaft. Ich hatte bereits alles was man sich nur wünschen konnte. Selbst wenn mir jemand mal ein besseres Leben anbieten würde… Ich würde ablehnen.